Selbstorganisation - Was kommt nach der hierarchischen Organisation

Wenn Unternehmen "umstellen" auf Selbstorganisation, wenn schwerfällige Modelle von formaler Hierarchie durch autonome Netzwerk-Stukturen ersetzt werden sollen (Stichwort "holacracy"), dann folgen frustrierende Erfahrungen meist auf den Fuß.

Der Rückfall in gewohnte Muster passiert oft bei der nächstbesten Gelegenheit. Dann fühlen sich die Kritiker bestätigt und feiern: Wir haben es gewusst! Warum fallen wir relativ schnell zurück in alte hierarchische Muster („Pattern“), die dem Ideal des co-working, der Agilität und der Effizienz völlig widersprechen? Weil wir in einer anderen Kultur aufgewachsen sind. In einer Kultur der traditionellen Muster, die wir reproduzieren, sobald erste Probleme auftauchen.  Eine dieser Reproduktionen ist das Chefmuster, in das wir nahezu automatisch verfallen, wenn ein Problem auftaucht. Das hat aber - entgegen unserer Überzeugungen - nichts mit den Personen zu tun, die so gerne ein Chefspiel spielen, es hat mit einer hartnäckigen Chefkultur zu tun. Es hat mit dem Mind Set zu tun, das wir mit "Organisation" automatisch verbinden. Es ist ein Kulturding.

Die Katze beißt sich in den Schwanz: Eine gut funktionierende Selbstorganisation setzt bestimmte Skills und Haltungen (Mind-Set) voraus, die  in einer klassisch-hierarchischen Arbeitskultur unerwünscht sind: Agilität, Selbstverantwortung, Self-Commitment, Selbstkontrolle, Transparenz. Solche Skills brauchen wir, um in einem selbstorganisierten "Feld" mit anderen zusammen erfolgreich unterwegs sein können. Durch ihren Einsatz kommt es erst gar nicht zu Nerv tötenden Verzögerungen, Missverständnissen, Redundanzen, Zuständigkeitsgerangel und ähnlichem. Aber woher nehmen wir jetzt solche Skills, wenn sie in klassischen Organisationsmodellen weder angewandt noch entwickelt werden? Einerseits bräuchten wir sie, um selbstorganisiert und agil unterwegs sein zu können, andererseits verhindert unsere Arbeitskultur genau solche Skills. Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis raus? Es klingt fürs Erste absurd: durch klare Regeln. 

 

Ohne klare Regeln keine Selbstorganisation

Was machen erfolgreiche Teams richtig, die ohne formale Hierarchien und hoch agil unterwegs sind? Sie geben ihrem Co-Working ein starkes Reglement in Bezug auf die Abläufe innerhalb der Zirkel (Teams) und zwischen ihnen. Das klingt auf den ersten Blick widersprüchlich: Ist das nicht die Fortsetzung der Hierarchie mit anderen Mitteln? Nein, denn diese Reglemente sind selbstorganisiert entworfen. Entsprechend werden sie als sinnvoll, nützlich und plausibel erlebt. Sie helfen - sie behindern nicht. Sie sind von allen Co-Workern gemeinsam entwickelt und für gut befunden worden. Durch dieses gemeinsam verantwortete Kulturmanagement entsteht erst die Kardinaltugend jeder Selbstorganisation: das  "self-commitment". Dieses "self-commitment" ("Ich verpflichte mich dem Erfolg der Sache und des Teams") kann sich nur in einer Kultur der Selbstverantwortung entwickeln und entfalten. Das ist der einzige Grund für starke Regeln. Sie können verhindern, dass wir in alte Muster hierarchischen Denkens zurückfallen - wenn wir sie uns denn selbst gegeben haben - und wenn wir sie beständig anpassen und hinterfragen. Ohne solche starken Regeln fallen Menschen bei allen möglichen Gelegenheiten reflexartig zurück in alte Mind Sets. Gerade auf dem Weg in die Selbstorganisation braucht es deshalb solche Regeln. Es braucht sie aber nicht um Selbstorganisation "durchzusetzen" - weil das gar nicht geht, sondern um sie nicht zu verhindern. Das klingt strange, ist aber so. Und warum gehören Selbstverantwortung und Eigeninitiative nach wie vor zu den eher seltenen Ressourcen in modernen Arbeitsprozessen? 

Eigentlich ist uns Menschen das "Prinzip Selbstorganisation" ja nicht nur in die Wiege gelegt, sondern auf die DNA "gebrannt". Sie ist der Modus, in dem die ganze belebte Welt funktioniert (tags: Maturana & Varelavon Foerster). Alle Systeme, wirklich alle, tragen in sich ein wunderbares Konzept, nach dem sie leben und arbeiten könnten, wenn wir es denn zulassen würden. Wir sind jedoch kulturell versaut und an Hierarchien, Befehlsketten und ähnliches gewöhnt - wie Konrad Lorenz' Ente an das erste Gesicht, in das sie schaut, nachdem sie geschlüpft ist. Deshalb tut sich Selbstorganisation so schwer. 

Und aus diesem Grund geben sich Gruppierungen, die "back to the selforganized roots" wollen, zu Beginn knallharte Regeln, die den Rückfall in hierarchische Muster verhindern sollen. Nur so können Pfadabhängigkeiten aufgebrochen werden. Das ermöglicht nicht nur einen nachhaltigen Kulturwandel. Es ermöglicht auch Erfolg. Ich erlebe diese Erfolge selber, wenn ich z.B. nach dem bewährten Konzept der TZI arbeite. Dieses Konzept weicht den "Geburtsschmerzen" beim Einüben des selbstverantwortlichen co-working nicht aus. Es geht den Konflikten, Störungen und Kommunikations-Infarkten nicht aus dem Weg. Es nutzt sie, um dadurch den Kulturwandel zu stemmen. Ohne diese "Labilisierung", wie John Erpenbeck das nennt, findet kein Kulturwandel statt. Ohne diese schmerzhafte Verunsicherung, die mit Entwicklung immer verbunden ist, machen wir den entscheidenden Schritt nicht, sondern zeigen eben jenen bunten Strauß an Verantwortungs-Verweigerungen, wie sie selbstorganisierte Teams in der Anfangsphase ständig erleben.

 

Die Quadratur des Kreises

 

cherryDas Schöne am Entwickeln einer Kultur der Selbstorganisation ist: Wenn sie sich auf diesen radikalen Weg einlässt, dann findet in der Tat ein kollektiver Mind Shift statt: und zwar innerhalb des gemeinsamen und geteilten Erfahrungsraums. Inklusive der so wichtigen Erfolgserlebnisse, "dass wir das als Team oder Zirkel selbstständig und nachhaltig hingekriegt haben".

Wer eine Kultur der Selbstorganisation entwickeln möchte, muss diese Quadratur des Kreises machen, die da lautet: Selbstorganisation lerne ich nur durch Selbstorganisation. Die kann uns niemand beibringen, zu der kann uns niemand motivieren oder hinführen - denn das wäre ja schon wieder "fremdorganisiert". Ein Unternehmen, das sich auf den Weg in eine Kultur des selbstorganisierten Co-Working macht, designt diesen Entwicklungsprozess deshalb selbst- und eigenständig. Es kauft ihn nicht einfach ein, denn: culture eats strategy for breakfast".

Ein wirklicher Kulturwandel hin zur agilen Selbstorganisation findet also nur statt, indem das ganze System gemeinsam lernt, reflektiert und sich entwickelt. Ein systemfremder, externer Coach kann dabei durchaus hilfreich sein - wenn und solange er sich auf systemische Prozess-Begleitung zu beschränken weiß. Mehr externen Support braucht es dazu nicht. Im Gegenteil. Es gibt keine Experten für Selbstorganisation - außer denen, die gerade dabei sind, sich selbst zu organisieren. 

Hier übrigens noch eine höchst interessante Umfrage zu diesem Thema, die den Tayloristen unter uns ein wenig Wind aus den Segeln nimmt.